Gnadenkapelle

Gnadenkapelle

Die Beuroner Gnadenkapelle wurde in den Jahren 1898 bis 1899 nördlich an das Schiff der damals im Sinne der Beuroner Kunstschule umgestalteten Abteikirche angebaut, um dem Gnadenbild, einer spätgotischen Pietà aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, einen würdevollen Aufstellungsort zu erschaffen. Zum ersten Mal wird das Gnadenbild im Jahr 1669 erwähnt. Es galt als wundertätig und wurde daher zum Ziel von Wallfahrten, die besonders im 18. Jahrhundert aufblühten, mit der Säkularisation 1802/03 allerdings ein jähes Ende fanden. Erst als die Benediktiner sechzig Jahre später das Kloster wieder besiedelten, wurde mit einem feierlichen Gottesdienst am Pfingstmontag 1863 die Wallfahrt wieder belebt.

Die Idee, einen Erweiterungsbau anzufügen, geht auf Maurus und Placidus Wolter, die Gründererzäbte, zurück. Beim Eintreffen der Mönche 1863 stand das Gnadenbild noch auf dem Tabernakel des Kreuzaltars der Barockkirche, später fand es eine vorübergehende Bleibe im linken Seitenaltar, dem heutigen Josefsaltar.

1896 erhielt der Klosterarchitekt P. Mauritius Gisler den Auftrag, Pläne für eine Pfarr- und Gnadenkapelle zu entwerfen, und eine Baukommission wurde ins Leben gerufen. Am Pfingstmontag, dem 30. Mai 1898 – 35 Jahre nach der Wiedererrichtung der Wallfahrt – wurde der Grundstein gelegt und die Bauarbeiten innerhalb nur eines Jahres vollendet. Am 20. Mai 1899 wurden sowohl die Ober-, als auch die Unterkapelle von Erzabt Placidus Wolter benediziert. Die künstlerische Ausstattung besorgte in den kommenden Jahren P. Paul Krebs zusammen mit Künstlern wie P. Willibrord Verkade, P. Ephräm König und Fr. Lukas Reicht, so dass am 10. Juli 1904 das Gnadenbild in die Kapelle übertragen werden konnte.

Das Bildprogramm ist ganz auf die Verehrung Mariens ausgerichtet:

Kuppelbild Von der Abteikirche her kommend, finden sich im Langhausgewölbe Darstellungen der vier Propheten Ezechiel, Jesaja, Daniel und Jeremia. Sie halten Spruchbänder, auf denen Zitate ihrer Aussagen zu lesen sind, die seit jeher auf Marie hin gedeutet werden. Die Wände schmücken auf Höhe der Fenster alttestamentliche Frauengestalten als typologische Vorbilder Mariens und die Stammväter der Häuser Israels und Davids, aus denen Maria hervorging.

Der Übergang zur Vierung und den Querarmen ist mit einem zeitlichen Sprung vom Alten zum Neuen Testament, zur Lebensgeschichte Mariens und zur Kirchengeschichte in Gestalt namhafter Zeugen der Marienverehrung verbunden. Das Kuppelbild mit dem von Engeln getragenen und von Cherubinen begleiteten Bild Mariens mit dem Jesuskind in der Glorie beschließt das verherrlichende Bildprogramm.

Ein zweite Bilderserie spannt sich über die abschließenden Wände der Querarme und die Apsis:

In mehreren szenischen Darstellungen wird das Leben Mariens mit dem Gottessohn erleuchtet. Am Anfang steht links die Ankündigung der Geburt Jesu durch den Erzengel Gabriel. Sechs vergoldete Kupferreliefs führen die Szenenfolge mit den Sieben Schmerzen Mariens weiter, wobei die Marienklage des Gnadenbildes sich in die Bilderfolge einreiht. Am Schluss steht rechts die Begegnung Mariens mit dem Auferstandenen am Ostermorgen.

Bild der Kreuzigung Christi Die Apsis, motivisch stark inspiriert vom Apsismosaik der römischen Basilika S. Clemente, zeigt nochmals die Kreuzigung: In für die Beuroner Kunst typischen Weise wird das Ereignis aus der nachösterlichen Perspektive dargestellt, so dass nicht so sehr das Leiden des Gottesknechtes als vielmehr die Erlösungstat Christi in den Vordergrund gestellt wird. Christus thront am Kreuz, aus dessen Fuß in kraftvollen Spiralschwüngen Akanthusranken entwachsen. Das Kreuz wird zum Lebensbaum, in welchem die Vögel des Himmels nisten, während aus den vier entspringenden Flüssen des Paradieses Hirsche trinken.

Es zeichnet die Gnadenkapelle aus, dass sich das überaus komplexe und inhaltsschwere Bildprogramm dem Betrachter nicht aufdrängt, denn im Gesamteindruck überwiegt das Dekorative, das auch ohne Kenntnis der Bildinhalte einen tiefen Eindruck hinterlässt und zu Stille und betrachtendem Gebet einlädt.